(IP/RVR) „Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger. […] Kommt ein Gericht dem Antrag auf Anhörung eines Sachverständigen nicht nach, liegt darin jedenfalls dann ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es den völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gutachten ihm überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint. […]“ (Leitsatz)

Dem Beschluss Kammerbeschluss lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Im Zwangsversteigerungsverfahren hat der Schuldner gegen den Zuschlagsbeschluss sofortige Beschwerde eingelegt und diese damit begründet, dass eine erhebliche Suizidgefährdung bestünde. In dem daraufhin gerichtlich angeordnetem Gutachten führte die Sachverständige aus, dass das anhängige Zwangsversteigerungsverfahren zumindest erheblich verursachend für die Suizidalität des Schuldners sei, eine akute Gefährdung aber erst eintreten werde, wenn tatsächlich die Zwangsräumung ansteht. Das Amtsgericht wies daraufhin die Beschwerde zurück, da der Eigentumsverlust nicht maßgeblicher Grund für die Suizidgefahr sei und vielmehr gegebenenfalls bei einer etwaigen Zwangsräumung ein Antrag gemäß § 765a ZPO in Betracht käme. Der Schuldner trat dem entgegen und kritisierte die Deutung des Gutachtens seitens des Amtsgerichts. Vorsorglich stellte er den Antrag, das Erscheinen der Sachverständigen zur Erläuterung des schriftlichen Gutachtens anzuordnen. Das Landgericht bestätigte die Entscheidung des Amtsgerichts und ging auf den Hilfsantrag des Schuldners, das Erscheinen der Sachverständigen anzuordnen, nicht ein. Daher legte dieser Gehörsrüge ein. Auch diese wurde zurückgewiesen. Das Landgericht führte in der Begründung aus, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden sei. Das Gutachten sei eindeutig und unmissverständlich gewesen.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Zurückweisungsbeschlüsse des Landgerichts aufgehoben, da diese in entscheidungserheblicher Weise gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör verstoßen. Dieser umfasst grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger. Auch wenn das Gericht das Sachverständigengutachten für nicht erläuterungsbedürftig hält, muss den Parteien auf deren Antrag die Möglichkeit eingeräumt werden, dem Sachverständigen Fragen zu stellen, ihm Bedenken vorzutragen und um nähere Erläuterung von Zweifelspunkten zu bitten. Es ist nicht auszuschließen, dass es dem Schuldner in einer mündlichen Verhandlung gelungen wäre, das Gutachten und/ oder dessen Auslegung durch das Gericht in Frage zu stellen.

BVerfG, Beschluss vom 06.03.2013, Az. 2 BvR 2918/12


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