(ip/RVR) Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied in einem seiner aktuellen Urteile über die Haftung des Gläubigers aus § 717 Abs. 2 ZPO.

Die Klägerin behauptet, ihr sei ein Schaden durch eine Maßnahme zur Abwendung der Vollstreckung aus einem später aufgehobenen vorläufig vollstreckbaren Urteil entstanden. Sie verlangt von der Beklagten Ersatz dieses Schadens.

Im Vorprozess nahm die Beklagte die dortigen Beklagten wegen Verletzung eines europäischen Patents auf Unterlassung, Rechnungslegung und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch. Das Landgericht Düsseldorf entsprach diesem Begehren durch gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil vom 4. März 2003. Das Klagepatent wurde während des Berufungsverfahrens im Einspruchsbeschwerdeverfahren vor dem Europäischen Patentamt am 26. Juli 2005 widerrufen. Daraufhin verzichtete die Beklagte im Vorprozess auf die geltend gemachten Ansprüche. Am 29. September 2005 wies das Oberlandesgericht Düsseldorf die Klage der Beklagten ab.

Nach Verkündung des landgerichtlichen Urteils erklärte die Beklagte wiederholt, kurzfristig die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil einleiten zu wollen. Am 3. Juli 2003 übersandte die Beklagte der Klägerin mit Anwaltsschreiben eine Bürgschaftsurkunde über die im landgerichtlichen Urteil festgesetzte Sicherheitsleistung und teilte mit, dass sie sich entschlossen habe, die Zwangsvollstreckung zu betreiben. Gleichwohl wolle die Beklagte bestehende Vergleichsmöglichkeiten ausschöpfen. Aus diesem Grund vollstrecke sie nur aus der Verurteilung zur Rechnungslegung. Darüber hinaus wies sie die Klägerin darauf hin, dass für den Fall, dass es bis zum 18. Juli 2003 nicht zu einer Einigung komme, werde sie auch die Vollstreckung hinsichtlich des Unterlassungstenors durchführen.

Zeitgleich verhandelte die Klägerin mit der G. R. über das Recht, deren Know-how zur Herstellung von Arzneimitteln zu nutzen. Die Verhandlungen führten zu einer Vereinbarung, die rückwirkend zum 1. Januar 2003 in Kraft trat: Darin wurde für den Fall, dass es nicht zu einem Vergleichsschluss mit der Beklagten kommen sollte, die Zahlung einer Pauschalsumme in Höhe von 1.500.000 € sowie umsatzabhängiger Lizenzzahlungen, anderenfalls die Zahlung einer Pauschalsumme zwischen 500.000 € und 1.500.000 € vereinbart.

Die Klägerin und die weitere frühere Beklagte forderten die Beklagte erfolglos zur Leistung von Schadensersatz auf, nachdem die Klage des Vorprozesses endgültig abgewiesen worden war.

Die Klägerin machte geltend, sie schloss die Vereinbarung mit G. R. und leistete die Zahlung, um ihre Erzeugnisse nach einem Verfahren herstellen zu können, das das Klagepatent nicht verletze und vom Unterlassungstenor des landgerichtlichen Urteils nicht erfasst werde, um damit die drohende Zwangsvollstreckung durch die Beklagte abzuwenden.

Das Landgericht wies die auf Zahlung der Lizenzgebühr in Höhe von 1.500.000 € und von Vollstreckungskosten in Höhe von 28.727,60 € gerichtete Klage ab.

Die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin.

Der BGH entschied, dass die zulässige Revision teilweise begründet ist und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils insoweit, als die klageabweisende Entscheidung des Landgerichts hinsichtlich der verlangten Lizenzgebühr von 1.500.000 € nebst Zinsen bestätigt worden ist. Hinsichtlich der begehrten Vollstreckungsgebühren bleibt die Revision jedoch ohne Erfolg.

Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in jeder Hinsicht stand.

Der BGH führte aus, dass der Klägerin weder ein Schadensersatzanspruch unter dem Gesichtspunkt eines rechtswidrigen und schuldhaften Eingriffs in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nach § 823 Abs. 1 BGB noch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB zusteht. „Wer ein staatliches, gesetzlich eingerichtetes und geregeltes Verfahren, insbesondere ein gerichtliches Verfahren, einleitet oder betreibt, greift bei subjektiver Redlichkeit nicht rechtswidrig in ein geschütztes Rechtsgut seines Verfahrensgegners ein, auch wenn sein Begehren sachlich nicht gerechtfertigt ist und dem anderen Teil über dieses Verfahren hinaus Nachteile erwachsen.“ Das Berufungsgericht verneinte ebenfalls einen deliktischen Anspruch. Die Revision ist demgegenüber anderer Auffassung: Die Beklagte hafte aus § 826 BGB, da sie die Klägerin von Anfang an massiv unter Druck gesetzt habe, um einen "Vergleich" zu ihren "Bedingungen" zu erzwingen. Dem kann nicht gefolgt werden, denn wenn die Beklagte wiederholt auf die bevorstehende Vollstreckung hingewiesen und gleichzeitig immer wieder Vergleichsbereitschaft signalisiert hat, hat sie damit die Grundlage für eine eventuelle gütliche Einigung geschaffen. Folglich kann darin ein unredliches Verhalten nicht gesehen werden.

Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin nach § 717 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. ZPO kann demgegenüber nicht, so der BGH, mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung verneint werden. Diese Vorschrift besagt, dass dem (früheren) Beklagten gegen den (früheren) Kläger ein Anspruch auf Ersatz des Schadens zusteht, der ihm durch eine zur Abwendung der Vollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil erbrachte Leistung entstanden ist, wenn dieses Urteil aufgehoben oder abgeändert wird. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist eine Leistung zur Abwendung der Vollstreckung nur anzunehmen, wenn sich der Schuldner, der aufgrund eines für vorläufig vollstreckbar erklärten ausgeurteilten Unterlassungsanspruchs leistet, damit einem gegen ihn ausgeübten Vollstreckungsdruck beugt. „Erfüllt der Schuldner eine ihm durch Urteil auferlegte Unterlassungsverpflichtung, bevor der Gläubiger die ihm obliegende Sicherheitsleistung erbracht und dies dem Schuldner mitgeteilt hat, leistet er regelmäßig nicht zur Abwendung der Vollstreckung im Sinne des § 717 Abs. 2 ZPO (BGHZ 131, 233, 237).“ Es ist allerdings zu beachten, dass auch bei Stellung und Nachweis der Sicherheitsleistung der erforderliche Vollstreckungsdruck nicht vorliegt, wenn der Gläubiger ausdrücklich erklärt oder sich aus den Umständen ergibt, dass trotz des Vorliegens der Voraussetzungen von der Vollstreckung noch abgesehen wird.

Die Revision ist der Meinung, dass § 717 Abs. 2 ZPO nicht zu entnehmen ist, dass die Erbringung der Sicherheitsleistung Voraussetzung für die Annahme eines konkreten Vollstreckungsdrucks sei: Auch wenn jemand die Vollstreckung betreibe und die Sicherheitsleistung ankündige, sei diese Voraussetzung erfüllt.

Mir dieser Rüge kann die Revision im Ergebnis jedoch nicht durchdringen. Die Beklagte teilte zwar in dem Schreiben vom 14. April 2003 mit, dass sie darauf eingerichtet sei, kurzfristig die für die Sicherheitsleistung erforderliche Bürgschaft zu stellen, gleichzeitig stellte sie aber der Klägerin anheim, Rechnung zu legen und auf diese Weise die Voraussetzungen für Vergleichsgespräche zu schaffen, wobei sie sich die unverzügliche Einleitung der Zwangsvollstreckung vorbehalte. Eine etwa bevorstehende Vollstreckung des Unterlassungsausspruchs ist in diesem Schreiben nicht angesprochen. Eine konkrete Ankündigung der Vollstreckung des Unterlassungstenors ist auch den weiteren Schreiben (vom 25. April 2003 und vom 22. Mai 2003) nicht zu entnehmen.

Die Revision hat jedoch in einem Punkt Erfolg, als sie sich gegen die Würdigung des Berufungsgerichts wendet, die Klägerin sei durch das Schreiben vom 3. Juli 2003 bezüglich des Unterlassungsgebots noch keinem hinreichenden Vollstreckungsdruck ausgesetzt gewesen. Die Erklärung der Beklagten lässt im Streitfall nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennen, dass sie sich trotz Herbeiführung aller Vollstreckungsvoraussetzungen verbindlich verpflichten wollte, von einer Vollstreckung der Unterlassungspflicht, so der BGH, vorerst abzusehen.

Das Berufungsgericht hat demzufolge zu prüfen, ob der Klägerin ein zurechenbarer Vollstreckungsschaden entstanden ist. Es muss insbesondere geklärt werden, wann die Vereinbarung zwischen der Klägerin und G. R. geschlossen worden ist und ob die Klägerin bei der Gestaltung des Vertrages mit G. R. gegen eine etwaige Schadensminderungspflicht verstoßen hat, indem sie das beanstandete Herstellungsverfahren bereits im März 2003 umgestellt und sämtliche Chargen aus dieser Herstellung bis zum 31. März 2003 abverkauft und damit die Leistung von G. R. möglicherweise noch vor dem Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen in Anspruch genommen hat.

Schließlich hat das Berufungsgericht einen Anspruch auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten zu Recht verneint.

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf aufgehoben, als die Berufung gegen die Abweisung der Klage auf Zahlung von 1.500.000 € nebst Zinsen zurückgewiesen worden ist.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Der Leitsatz fasst zusammen:
„Wenn der Gläubiger alle Vollstreckungsvoraussetzungen herbeigeführt hat, trifft ihn nur dann keine Haftung nach § 717 Abs. 2 ZPO, wenn er gegenüber dem Schuldner deutlich macht, daraus keine Rechte herzuleiten.“

BGH vom 16.12.2010, Az.: Xa ZR 66/10


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