(ip/RVR) Der IX. Zivilsenat hat entschieden: Die Begehung einer Straftat und die daran anschließende Strafhaft in der Wohlverhaltensperiode sind weder geeignet, dem Insolvenzschuldner die Erteilung der Restschuldbefreiung von vornherein zu versagen noch entbinden sie von der Pflicht der Gläubiger, einen Obliegenheitsverstoß und die Beeinträchtigung der Befriedigungsaussichten glaubhaft machen zu müssen.

Nach Eigenantrag wurde über das Vermögen des Schuldners nach Stundung der Verfahrenskosten im Januar 2006 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Im Mai 2006 wurde ihm die Restschuldbefreiung angekündigt, im September 2006 das Verfahren aufgehoben. Der Schuldner war schon vor dem Verfahren mehrfach straffällig geworden und hatte keine pfändbaren Einkünfte vorzuweisen. Deshalb konnte der eingesetzte Treuhänder keine Verteilung an die Gläubiger vornehmen, woran sich auch nach der Eröffnung nichts änderte.

Im September 2007 beging der Schuldner einen schweren Raub, was eine rechtskräftige Verurteilung zu einer mehr als 4 Jahre dauernden Freiheitsstrafe nach sich zog, die der Schuldner bis heute verbüßt. Unter alleinigem Hinweis auf diese Freiheitsstrafe beantragte eine Gläubigerin die Versagung der Restschuldbefreiung, womit sie sowohl vor dem Insolvenzgericht, als auch vor dem Beschwerdegericht erfolgreich war. Hiergegen legte der Schuldner mit Erfolg Rechtsbeschwerde zum BGH ein.

Das Insolvenz- und Beschwerdegericht hätte jeweils die Voraussetzungen der §§ 295 Abs. 1 Nr. 1, 296 Abs. 1 InsO verkannt, unter denen die Restschuldbefreiung versagt werden könne.
Der Versagungsantrag der Gläubigerin hätte vielmehr als unzulässig verworfen werden müssen. Gerügt wurde eine Verletzung der Obliegenheit nach § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Für die Zulässigkeit fehle es aber am Sachvortrag, welcher Grundlage für die Glaubhaftmachung der Versagungsvoraussetzungen nach § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO bilden könnte, § 296 Abs. 1 Satz 3 InsO. Insbesondere fehle die Vergleichsrechnung, welche die Vermögensdifferenz zwischen der Tilgung der Verbindlichkeiten mit und ohne Obliegenheitsverletzung belege.

Eine solche Glaubhaftmachung sei auch vor dem Hintergrund des zu entscheidenden Falles nicht entbehrlich. Denn entgegen dem Beschwerdegericht begründe die Inhaftierung des Schuldners nicht die Vermutung der Gläubigerbenachteiligung. Allein die theoretische Möglichkeit, dass der Schuldner ohne Inhaftierung eine Erwerbstätigkeit hätte finden können, mit der er pfändbare Einkünfte hätte erzielen können, begründe allenfalls eine abstrakte Gläubigergefährdung, genüge aber nicht den Anforderungen des § 296 Abs. 1 InsO. Eine danach geforderte konkrete Beeinträchtigung der Gläubigerinteressen sei auch vor dem Hintergrund des Falles nicht zu erwarten. Aus der Vorgeschichte des Schuldners und dem Fehlen beruflicher Qualifikationen und Erfahrungen resultierten gerade keine Aussichten auf Erzielung pfändbaren Einkommens.

Die Glaubhaftmachung des Verstoßes gegen die Erwerbsobliegenheit und der daraus folgenden Beeinträchtigung der Befriedigungsaussichten sei darüber hinaus auch nicht allgemein entbehrlich, wenn der Schuldner während der Wohlverhaltensphase eine Straftat begeht und deswegen inhaftiert wird. Alleine der Verlust der Möglichkeit, sich auf dem Arbeitsmarkt um eine Tätigkeit zu bemühen, reiche nicht aus, um die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn ohnehin nicht mit pfändbaren Einkommen zu rechnen sei. „Zeigt ein Schuldner, der insgesamt nur unpfändbare Einkünfte erlangt, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht an, kann darin zwar eine Obliegenheitsverletzung zu sehen sein, diese führt jedoch nicht zu einer Gläubigerbeeinträchtigung und damit auch nicht zur Versagung der Restschuldbefreiung“ (Rz. 10 der Entscheidung). Dies gelte genauso für Schuldner, welche in der Wohlverhaltensphase straffällig würden.

Eine generelle Absage der Erteilung der Restschuldbefreiung bei schwer straffälligen Schuldnern komme ebenso wenig in Betracht. Im Regierungsentwurf für die Insolvenzordnung wird das Arbeitsentgelt eines Strafgefangenen ausdrücklich als abzutretende Forderung im Sinne des § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO genannt (BT-Drucks. 12/2443, 136, 189). Daraus sei zu erkennen, dass auch der Gesetzgeber von der Möglichkeit der Restschuldbefreiung für Strafgefangene ausging. Zudem widerspreche es dem Regelungszusammenhang der Versagungsgründe, wollte man sämtliche (schwerwiegende) Straftaten als Voraussetzung der Versagung auffassen, so doch das Gesetz die Versagung ausdrücklich bei Begehung derjenigen Straftaten anordne, welche sich in §§ 297 Abs. 1, 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO finden ließen.

BGH vom 01.07.2010, Az. IX ZB 148/09


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